Essay
Wachsen auf und neben der Bühne: Ein Jahresrückblick auf das pädagogische Leben in der Heinz-Bosl-Stiftung
Tanz. Proben. Bühne. Applaus. Das ist das Bild, das viele Menschen mit dem Alltag junger Tänzerinnen und Tänzer verbinden – besonders, wenn sie Teil einer renommierten Institution wie der Heinz-Bosl-Stiftung sind. Doch wer denkt, dass sich unsere Arbeit ausschließlich im Ballettsaal oder auf der Bühne abspielt, der irrt. Ein bedeutender Teil unseres Engagements findet im Hintergrund statt – fernab von Zuschauerrängen und Scheinwerfern, aber genauso wichtig für die Entwicklung der jungen Menschen.

Ein Zuhause für junge Tänzerinnen und Tänzer
Neben der intensiven tänzerischen Ausbildung an der Ballett-Akademie der Hochschule für Musik und Theater München ist das Wohnheim der Stiftung an der Herzogstraße nicht nur ein Ort zum Schlafen – es ist Lebensmittelpunkt, Rückzugsort und pädagogischer Raum. Besonders für die minderjährigen Studierenden der Ballett-Akademie der Hochschule für Musik und Theater München ist das Wohnheim ein entscheidender Teil ihres Alltags. Hier beginnt unsere pädagogische Arbeit – mit Herz, Verstand und einem breiten Angebot.
Viola Kleinfelder, pädagogische Leitung der Stiftung, bringt ihre langjährige Erfahrung in der Arbeit mit Jugendlichen in jedes Detail ihrer Betreuung ein. Ihr Ziel: die jungen Tänzer*innen nicht nur technisch auszubilden, sondern sie in ihrer gesamten Persönlichkeitsentwicklung zu begleiten.
„Es ist mir wichtig, dass die Jugendlichen während ihrer Ausbildungszeit auch menschliche, kulturelle und geschichtliche Erlebnisse machen. Ich will, dass sie mehr mitnehmen als nur Technik – Erinnerungen, Beziehungen, Werte“, sagt Kleinfelder. Und genau das spiegelt sich in ihrem Jahresprogramm wider.
Ein Jahr im Wohnheim: Kultur, Gemeinschaft und Verantwortung
Herbst – Ankommen, Verstehen und Wurzeln schlagen
Wenn im September das neue Ausbildungsjahr beginnt, kommen viele junge Menschen frisch nach München – oft zum ersten Mal weit weg von zuhause. Viele kennen die Stadt zunächst nur als Heimat des größten Volksfests der Welt: des Oktoberfests.
Ein gemeinsamer Ausflug zur Wiesn steht daher früh im Kalender – pädagogisch begleitet, ohne Alkohol, aber mit viel Raum für kulturelle Begegnung. Beim Anprobieren von Dirndl und Lederhosen geht es nicht nur um Spaß, sondern auch um die Vermittlung bayerischer Traditionen. „Wusstest du, dass die Position der Dirndlschleife den Beziehungsstatus zeigt?“ – Solche kleinen, aber wichtigen Details schaffen Nähe zur neuen Umgebung und fördern das Gemeinschaftsgefühl.
Ein weiterer wichtiger Teil des Herbstprogramms sind von Viola selbst gestaltete, niedrigschwellige Geschichtseinheiten, oft eingebettet in Spaziergänge durch Stadtviertel wie Schwabing. Sie zeigt den Jugendlichen Orte mit historischer Bedeutung – wie Gedenkstätten des Widerstands gegen das NS-Regime – und gibt ihnen damit ein Gefühl dafür, wo sie leben und lernen. Diese Erlebnisse schaffen einen persönlichen Bezug zur Stadt und machen Geschichte erlebbar.
Winter – Gemeinsam feiern und durch den Alltag
Wenn es draußen kälter wird, wird es im Wohnheim umso gemütlicher. Die Vorfreude auf Weihnachten beginnt früh – mit gemeinsamer Dekoration, Weihnachtsbäckerei und dem traditionellen „Wichteln“. Diese Rituale schaffen ein Gefühl von Zuhause, das viele der Jugendlichen in der Ferne vermissen.
Aber auch ernstere Themen gehören dazu: Brandschutz-Schulungen, Aufklärung zu Jugendschutz-Gesetzen und Workshops zur Gewaltprävention im Netz – in Kooperation mit der Kriminalpolizei. Denn Vertrauen entsteht auch durch Verantwortungsbewusstsein und Sicherheit.
Frühling – Mitgestalten und kreativ sein
Mit den ersten warmen Tagen wird es lebendiger im Wohnheim: Der Garten wird gemeinsam gepflegt, neue Blumen gepflanzt, es wird draußen gekocht und gebastelt. Spielabende, kreative Angebote mit Werklehrerinnen – etwa Töpfern, Stricken oder Arbeiten mit Perlen – geben Raum für Entspannung und Austausch.
Ein Highlight im Frühling ist der Hofflohmarkt: Die Jugendlichen organisieren Verkaufsstände, gestalten Plakate, lernen wirtschaftliches Denken und stärken ihr Selbstbewusstsein durch eigene Ideen. Hier zeigt sich besonders die Wichtigkeit der Mitbestimmung – ein zentraler Wert in der Arbeit von Viola Kleinfelder.
Sommer – Entspannen, draußen sein, Kraft tanken
Der Sommer bringt nicht nur Sonne, sondern auch eine intensive Prüfungszeit an der Ballett-Akademie mit sich. Umso wichtiger ist es, einen Ausgleich zu schaffen: Mehr Picknicks, gemeinsame Abende im Freien, Bewegung an der frischen Luft und ungezwungene Freizeitaktivitäten helfen den Jugendlichen, wieder Kraft zu schöpfen und Stress abzubauen.
Ob ein Ausflug in den Englischen Garten, ein gemütlicher Grillabend im Hof oder einfach gemeinsames Entspannen im Schatten der Bäume – der Sommer gehört ganz dem Ausgleich und der Freude. Hier wird nicht geprobt – hier wird gelacht, losgelassen und gelebt.

Pädagogik mit Herz und Haltung
Was all diese Aktivitäten verbindet, ist das Ziel, jungen Menschen ein stabiles Fundament für ihr Leben zu geben – emotional, sozial und kulturell. „Ich brauche diese Zeit mit den jungen Menschen, damit sie Vertrauen entwickeln können – um in einer eventuellen Krise gut und professionell reagieren zu können“, sagt Viola Kleinfelder.
Bei all dem ist klar: Wer tänzerisch zur Höchstform auflaufen soll, braucht auch jenseits der Bühne ein Umfeld, das stärkt, schützt und inspiriert. Das Wohnheim der Heinz-Bosl-Stiftung ist genau so ein Ort. Und wenn die Jugendlichen nach drei Jahren voller Training, Schweiß, Applaus – aber auch voller Lachen, Backduft, Gesprächsabenden und gemeinsamen Festen zurückblicken, dann nehmen sie weit mehr mit als nur eine Tanzkarriere.
Sie nehmen Erinnerungen mit – und ein Stück Zuhause.