Essay
Jung unter Jungen: Ivan Liška und das Bayerische Junior Ballett München
by Dorion Weickmann
Von Berlin aus gesehen, ist Bayern ein gesegnetes Land. Zumindest jenseits politischer Stammtische. Die Landschaft ist göttlich, die Städte sind schön, Tradition wird groß geschrieben, Innovation mit Volldampf betrieben. Das zieht natürlich auch Künstler an, die hier Gelegenheit (samt Geld und Gönnern) finden, das umzusetzen, wovon sie träumen. Ein solcher Freigeist ist Ivan Liška.
Seine Karriere war mustergültig, er selbst ein wunderbarer Tänzer und aus John Neumeiers Hamburg Ballett gar nicht wegzudenken… aber München leuchtet, immer noch und immerzu. Also wurde Ivan Liška 1998 Direktor des Bayerischen Staatsballetts. Was er am Nationaltheater zusammen mit seinen Stellvertretern Bettina Wagner-Bergelt und Wolfgang Oberender zustande brachte, setzte Maßstäbe.
Als der Chef 2016 die Amtsgeschäfte an Igor Zelensky übergab, hatte seine Truppe das vielseitigste Repertoire der ganzen Tanzrepublik. Und außerdem ein ehrgeiziges Pionierprojekt im Schlepptau: das «Staatsballett II», ein 2010 gegründetes Juniorensemble, für das es keine Sonderzuwendungen gab. Vielmehr finanzierten die Mutterkompanie, die Heinz-Bosl-Stiftung und die Hochschule für Musik und Theater das Unternehmen – als Brücke zwischen Ausbildung und Engagement. Zwei Jahre lang können Nachwuchstalente hier Bühnenerfahrung sammeln und sich ausprobieren. Und zwar in stattlicher Anzahl: 16 Positionen gibt der Stellenplan her, mehr als irgendwo anders.
Bei diesem Zuschnitt ist es bis heute geblieben, nur haben sich Namen und Rahmen verändert. Und das hat der Gründungspatron, der listige Ivan Liška, bewerkstelligt. Indem er das Jugend-Team, nun ja, seinem Nachfolger ein Stück weit abschwatzte und als «Bayerisches Junior Ballett München» enger an die Heinz-Bosl-Stiftung angliederte, wo er selbst den Vorsitz führt. Zwar verstärken die Youngsters als Eleven auch weiterhin Zelenskys ultraklassische Produktionen. Aber zugleich hat sich ihr eigener Stückefundus Jahr um Jahr erweitert. Ebenso munter wächst die Zahl der Auftritte und Tourneen.
Kein Wunder, denn die Berufseinsteiger begeistern Publikum und Kritiker gleichermaßen. Die Qualität ihrer Aufführungen ist hinreißend und beweist ein ums andere Mal, dass Liška und seine Mitarbeiter ein gutes Händchen für die Auswahl haben. Offensichtlich zählen da nicht nur Begabung und Können, sondern auch: Persönlichkeit und Ausdruckskraft.
Eigenschaften, die das Ballett ganz dringend braucht, weil es sich (wieder einmal) neu erfinden muss. Als Arbeitsumfeld ist es ins Gerede gekommen, als Kunst kämpft es mit den Moden des Zeitgeists und gegen das Altern. Dass diese Herausforderungen nur eigenwillige, kreative Köpfe (auf 1a trainierten Körpern) bestehen können, gehört zur Philosophie des Junior Balletts. Genau wie die stilistische, technische und ästhetische Bandbreite, die von Balanchine bis Richard Siegal reicht, Uraufführungen und Bewährtes kombiniert. Bis hin zu Gerhard Bohners spektakulärer Version des «Triadischen Balletts», die Liška und seine Frau Colleen Scott 2014 selbst rekonstruiert und damit Epochales aus dem Dornröschenschlaf geholt haben. Die programmatische Vielfalt sorgt auch dafür, dass Ex-Mitglieder des Bayerischen Junior Balletts nicht nur den Sprung in die Profikarriere scheinbar problemlos meistern, sondern nach der Landung positiv auffallen. Sie sind eben rundum exzellent aufgestellt und besitzen zudem Selbstbewusstsein – ein waches Bewusstsein ihrer selbst.
Ivan Liška ist natürlich der Vater der Kompanie, aber zugleich: ein Junger unter den ganz Jungen. Weil er nie aufgehört hat, neugierig zu sein, das eine oder andere Risiko einzugehen und sich selbst auch kritisch zu hinterfragen. Außerdem bringt er Humor und Optimismus, Weisheit und Weitsicht mit – all das, was junge Menschen brauchen.
Das Bayerische Junior Ballett München ist also nicht nur eine prima Zukunftsinvestition. Es macht Bayern auch noch… ein klein wenig schöner. Sofern das überhaupt möglich ist.