Backstage

Musik

Der Riese unter den Klavierspielern: Beethoven und sein Klavierkonzert

von Harold Hodeige

»Ein Jahr nach dem Erscheinen der Zauberflöte«, heißt es in einem Beitrag des Komponisten und Musikschriftstellers Ignaz Franz von Mosel in der Allgemeinen Wiener Musik-Zeitung, »ging über Wien am musicalischen Horizonte ein Stern erster Größe auf.

Ludwig van Beethoven (1770 – 1827)

»Klavierkonzert Nr. 4 G-Dur« op. 58 (1805/1806)

Allegro moderato
Andante con moto –
Rondo: Vivace – Presto

Uraufführung: März 1807 im Wiener Palais des Fürsten Lobkowitz vor geladenen Gästen mit dem Komponisten am Klavier

Beethoven kam hierher und erweckte damals noch als Klavierspieler die allgemeine Aufmerksamkeit. Mozart war uns bereits entrissen; um so willkommener daher ein neuer so ausgezeichneter Künstler auf demselben Instrumente. Zwar fand man in dem Spiele dieser beiden einen bedeutenden Unterschied; die Rundung, Ruhe und Delicatesse in Mozarts Vortrag war in dem des neuen Virtuosen nicht zu finden: dagegen ergriff die erhöhte Kraft, das sprechende Feuer desselben jeden Zuhörer, und seine freien Phantasien, wenn auch an besonnener und consequenter Ausführung der gewählten Motive hinter denen seines Vorgängers, zogen durch den Strom der dahinrauschenden originellen Ideen alle Kunstfreunde unwiderstehlich an.«

Beethoven avancierte bald nach seiner Ankunft in der Donaumetropole zu einem der bedeutendsten Klaviervirtuosen der Zeit – brachte er doch laut den Erinnerungen seines späteren Schülers Carl Czerny »auf dem Clavier Schwierigkeiten und Effecte hervor, von denen wir uns nie etwas haben träumen lassen«. Bereits 1796 wurde der damals noch Fünfundzwanzigjährige in Johann Ferdinand von Schönfelds Jahrbuch der Tonkunst als »musikalisches Genie« bezeichnet, vornehmlich aufgrund seines pianistischen Könnens: »Er wird allgemein wegen seiner besonderen Geschwindigkeit und wegen der außerordentlichen Schwierigkeiten bewundert, welche er mit so viel Leichtigkeit exequiert.« Doch es waren nicht allein technische Aspekte, die Beethovens Klaviersoireen zu exklusiven Ereignissen werden ließen. Denn die Zeitgenossen faszinierte vor allem, etwa während seiner atemberaubenden Improvisationen, die Ausdruckstiefe seines Klavierspiels, die man bei »eleganter« spielenden Virtuosen wie Hummel oder Clementi vermisste.

Dass Beethoven als emporstrebender Virtuose und Hauspianist des Fürsten Lichnowsky Konzerte zum eigenen Gebrauch schrieb, war ebenso naheliegend wie zeitgemäß. Hierbei stellte er allerdings immer höhere Ansprüche an Genre und Tasteninstrument, was in direktem Zusammenhang mit der innovativen Entwicklung des Klavierbaus stand, die u. a. dazu führte, dass sich der Tonumfang des Hammerflügels allmählich auf sechseinhalb Oktaven erweiterte. Sébastien Érard, der Beethoven 1803 einen Flügel aus seiner Produktion schenkte, hatte bereits 1790 den dreichörigen Saitenbezug eingeführt. Das Instrument verfügte über ein sogenanntes Una-Corda-Pedal, mit dessen Hilfe das einsaitige, zweisaitige oder dreisaitige Anschlagen der Hämmer möglich war, was neben dynamischer Differenzierung (auf die Beethoven mit Bezeichnungen bis zum dreifachen Forte bzw. Piano reagierte) zu bemerkenswert unterschiedlichen Klangfarben führte. Beethoven selbst regte Klavierbauer dazu an, mit unterschiedlichen Hämmern und Mechaniken zu experimentieren und probierte verschiedene Pedalmechaniken aus – nicht umsonst gehören seine Klavierpartituren zu den ersten, die mit ausführlichen Pedalanweisungen versehen sind.

Von all diesen Neuerungen profitierte natürlich auch das Klavierkonzert Nr. 4 G-Dur op. 58, das 1805/1806 in enger Nachbarschaft zur Vierten Symphonie, den Rasumowsky-Quartetten op. 59, verschiedenen Fassungen der Oper Leonore und zum Violinkonzert op. 61 entstand. Bereits der Einstieg, der zu den originellsten Anfängen der gesamten Konzertliteratur zählt, lässt aufhorchen. Denn indem Beethoven nicht dem Orchester die Vorstellung des musikalischen Hauptgedankens anvertraute, sondern dem Solo-Instrument, stellte er alle Traditionen der Instrumentalkonzert-Gattung auf den Kopf. Doch damit nicht genug, der erste Themeneinsatz erklingt nicht mit kraftvollem Schwung wie die typischen Con-brio-Kopfsätze anderer Konzerte. Vielmehr beginnt der Solist mit einer dezent »piano dolce« vorzutragenden Phrase, deren pochender Rhythmus mit dem »Klopfmotiv« aus der Fünften Symphonie identisch ist (in den Notizbüchern sind die Skizzen der beiden Werke genau nebeneinander zu finden). Erst nachdem die Streicher die Achtelphrase aufgegriffen haben – allerdings in überraschender Rückung nach H-Dur –, folgt das eigentliche Orchestervorspiel, mit dem normalerweise ein Konzert beginnt. Anschließend bringt Beethoven zahlreiche virtuose Effekte ein und macht zudem vom neuen Diskant wirkungsvoll Gebrauch, etwa, wenn er in der Soloexposition das Klavier ein neues expressives Thema in höchster Lage vorstellen lässt, das über triolisch arpeggierten Akkorden der linken Hand im tiefsten Register erklingt – eine Passage, die auf älteren Instrumenten unspielbar wäre.

Im folgenden Andante con moto ist durchgehend eine Klangdifferenzierung durch das Una-Corda-Pedal vorgeschrieben (die heute nicht mehr realisierbar ist), wobei weitere Anweisungen auch den genauen Gebrauch der übrigen Pedale regeln. Die wie im Kopfsatz als Dialog konzipierte Musik wirkt wie eine dramatische Szene, da an die Stelle von Austausch nun Konfrontation tritt: Dem kantablen Klavierthema in vollen Akkorden steht ein bedrohlich wirkender Unisono-Streichergedanken mit gezacktem Rhythmik in leeren Oktaven gegenüber. Den Abschluss des Werks bildet ein brillant-spielerisches Rondo, in dem sich das dialogische Wechselspiel in entspannten Bahnen fortsetzen kann, wobei nun Pauken und Trompeten hinzutreten und die neu gewonnene Eintracht in ein triumphales Licht tauchen.

Beethovens G-Dur-Konzert, an dem sich später Romantiker wie Schumann, Mendelssohn Bartholdy und Chopin orientierten, erklang erstmals im März 1807 mit dem Komponisten als Solisten im Palais des Fürsten von Lobkowitz (das genaue Datum ist unbekannt) und war ein großer Erfolg. Nach der ebenfalls erfolgreichen offiziellen Premiere am 22. Dezember 1808 am Theater an der Wien schrieb der Rezensent der Allgemeinen musikalischen Zeitung, das Konzert sei »das wunderbarste, eigentümlichste, künstlerischste und schwierigste von allen […], die Beethoven geschrieben« habe. Johann Friedrich Reichardt gab zu Protokoll: »Beethoven sang wahrhaft auf seinem Instrument mit tiefem melancholischen Gefühl, das auch mich dabei durchströmte.«