Interview
Ivan Liška - ein Leben mit dem Triadischen Ballett
von Martin Künanz
Es ist das bekannteste unbekannte Bühnenwerk des 20. Jahrhunderts: »Das Triadische Ballett« des Bauhaus-Künstlers Oskar Schlemmer. Das 1922 in Stuttgart uraufgeführte Werk erlangte erst mit Gerhard Bohners aufwendiger Rekonstruktion von 1977 zur neu komponierten Musik von Hans-Joachim Hespos Weltruhm. Nach dem Tode von Bohner übernahmen Ivan Liška und seine Frau Colleen Scott - einst Solisten in Bohners Fassung - »Das Triadische Ballett« und setzen seitdem dessen Erfolgsgeschichte fort.
MK: Zu Beginn des 20. Jahrhunderts strebte der moderne Tanz als Gegenbewegung zum klassischen Ballett und auch als Antwort auf den Ersten Weltkrieg in viele Richtungen. Welchen visionären Geist sehen Sie in Oskar Schlemmers “Triadischem Ballett”?
IL: Im Gegensatz zum Ausdruckstanz, der dramatisch und schier grenzenlos angelegt war, wollte Schlemmer zu “Reduktion, Ordnung und Stil” finden. Er brachte Tanz und Bildende Kunst zusammen und kreierte ein ästhetisches System, in dem er den menschlichen Körper abstrahierte und dessen Geometrie überhöhte. Für dieses Werk ging er zurück auf die Trias als Ordnungsprinzip. Die besondere Ästhetik seines Balletts wurde vor allem in der Bildenden Kunst sehr aufgenommen, wo sie bis heute nachwirkt.
MK: Schlemmer entwickelte kubistische Figuren, Kugelhände, Spiralen und Scheibenröcke. Inwieweit spielte er auf Technisierung und Entmenschlichung an?
IL: Er war sehr an der “Maschine Mensch” interessiert und suchte den Mechanismus des Körpers zu erspüren. Zugleich hat sein Ballett für mich auch viel Berührendes, Menschliches und Humorvolles. Und als Reaktion auf die Katastrophe des Ersten Weltkrieges fragten sich die Menschen, ist die Maschine die Zukunft? Ist das nicht die gleiche Frage, die uns nach wie vor beschäftigt?
MK: Die heute zu erlebende Fassung entspricht im Wesentlichen Gerhard Bohners Rekonstruktion von 1977. Wie ging er vor, um der Originalchoreografie nachzuspüren?
IL: Es gab einige Aufzeichnungen im Bauhaus-archiv, aber Bohner befasste sich vielmehr auch mit dem Künstler Schlemmer, suchte die geistige Nähe zu ihm und seine Welt zu erspüren. Er war – ähnlich wie Schlemmer – ein Meister der Reduktion, und sein Ansatz war, nicht viel Material zu liefern, sondern zum Kern der Sache zu kommen.
MK: Sie und Ihre Frau Colleen Scott wirkten als Tänzer 1977 bei der Rekonstruktion mit. Welche Erinnerungen sind damit verbunden?
IL: Wir als Tänzer haben beim Erstellen der Choreografie vieles angeboten, aber Gerhard sagte immer freundlich “Wäre möglich, aber wir machen es einfacher.” Wir tendierten alle eher zu klassischen Ballettbewegung. Ursprünglich waren drei Vorstellungen geplant, aber die Aufnahme war so euphorisch, dass wir mit 85 Aufführungen über zwölf Jahre in den ganzen Welt gastierten. So waren kurz nach unserem Gastspiel in Paris in den Kollektionen von Karl Lagerfeld und Yves Saint Laurent Elemente aus dem Ballett zu sehen, und in New York am Joyce Theatre war u.a. Bob Wilson in der Vorstellung.
MK: Wie beeinflusste das “Triadische Ballett” Ihre eigene Tanzsprache?
IL: Durch Wertschätzung der Reduktion konnte ich viel in meine Rolleninterpretationen übernehmen: Die Entdeckung der Einfachheit und den Wert von Überlegungen, wie zum Beispiel: Wo stehe ich im Raum, wie wirkt mein Körper in ihm, benutze ich zwei oder drei Schritte, wie fühle ich den Raum als Tänzer?
MK: Eine Originalmusik hat es nie gegeben. Zur Uraufführung 1922 bediente sich Schlemmer Werken von Händel, Galuppi, Mozart oder Debussy. Für die Rekonstruktion 1977 wurde Hans-Joachim Hespos mit einer Komposition beauftragt. Welche Vorteile sehen Sie in der nun erstmals geschlossen vorliegenden Musik?
IL: Hespos schrieb eine Musik, die zu Schlemmers Absicht passte. So wie das Ballett nicht lieblich, sondern eher verstörend gedacht ist, so ist auch die Musik von Hespos an manchen Stellen unglaublich zart und an anderen wiederum auch brutal wie die Kostüme. Am Anfang war es hart, mit der Musik zu arbeiten und Anhaltspunkte in ihr zu finden. Heute stehe ich völlig hinter der Komposition und singe sie sogar manchmal. Bei der Premiere 1977 war Frau Tut Schlemmer dabei, und sie war sehr offen und sehr glücklich.
MK: 2014 studierten Sie und Ihre Frau Colleen Scott mit dem Bayerischen Junior Ballett München “Das Triadische Ballett” neu ein. Wurden Veränderung zur Rekonstruktion von 1977 vorgenommen?
IL: Nein, es ist die gleiche choreografische Version wie 1977. Wir haben damals über ein Jahr sehr intensiv ausprobiert, gesuch und vorbereitet und noch immer großen Respekt vor dem Werk Bohners und dachten nie daran, etwas zu ändern. Auch heute liegen über jeder neuen Aufführung eine Faszination, ein Zauber und eine Magie, die bestätigend wirken.
“Ivan Liška – ein Leben mit dem “Triadischen Ballett” war ursprünglich im Dresdner Musikfestspiele Magazin No. 8 im Rahmen einer Gastspiel des Bayerischen Junior Balletts München im Mai 2019 veröffentlicht.