Der Volkstanz erwächst aus den Tiefen unserer kulturellen Tradition. Wir versichern uns unserer Identität, indem wir uns gemeinsam bewegen – seit vielen tausend Jahren. Lior Tavoris choreografische Wurzeln liegen in der israelischen Volkstanztradition: „Wir tanzen in Kreisform. Man stellt seine individuelle Identität für den Zusammenhalt der Gruppe zurück. Es gibt eine einzige Wahrheit und sie ist eine gemeinsame Erfahrung. Die Rollen von Männern und Frauen sind festgelegt: Der Mann bearbeitet den Boden und die Frauen springen wie Rehe im Feld.“

Als Tavori den zeitgenössischen Tanz für sich entdeckte, schämte er sich zunächst für seinen beruflichen Hintergrund im Volkstanz und verschwieg ihn. Er fürchtete, nicht ernstgenommen zu werden. Heute besteht seine choreografische Praxis darin, beide Disziplinen miteinander zu verbinden. Die künstlerische Freiheit des zeitgenössischen Tanzes erlaubt ihm, alles in Frage zu stellen und die Form immer weiter zu destillieren: „Im zeitgenössischen Tanz kann man tun, was man will. Man kann seinen Schmerz zeigen. Man kann ein Liebesduett zwischen zwei Männern erschaffen. Mir gefällt es, Dinge zu tun, die nicht 'erlaubt' sind.“

Für sein neues Stück für das Bayerische Junior Ballett München greift Tavori seine frühen Erfahrungen im israelischen Volkstanz auf und lotet die Spannungen zwischen den beiden Tanzformen aus. Der Komponist Itamar Gross schuf eine neue Partitur für ein Werk, das die Traditionen des Volkstanzes aufrechterhält und gleichzeitig (in der Tradition des zeitgenössischen Tanzes) gezielt alle Regeln bricht.

ÜBER LIOR TAVORI
Lior Tavori ist künstlerischer Leiter der Lior Dance Company Israel. Er schloss sein Studium an der Jerusalem Academy of Music and Dance mit einem Bachelor of Fine Arts und einem Master in Tanz ab. Er hat Werke für Tanzensembles in China, Portugal und Israel geschaffen, die auf Bühnen in Italien, Spanien, den USA, Brasilien, Mexiko, Georgien und Taiwan aufgeführt wurden. Außer seinem neuen Werk für das Junior Ballett wird Tavori in dieser Spielzeit ein Werk für das Scapino Ballet Rotterdam kreieren. Sein Stück »8th day« wird im Rahmen des Tel Aviv Dance Festival 2022 uraufgeführt.

Uraufführung am 27. November 2022 im Rahmen einer Matinee der Heinz-Bosl-Stiftung im Nationaltheater München