Ballett und Wildnis
Wenn die Wildnis zur Bühne wird
von Till Meyer
Das Bayerische Junior Ballett München lässt den Ur-Instinkten freien Lauf und findet Anschluss an den Geist (und die Geister) des Nationalparks Bayerischer Wald. Eine Spurensuche zum zwanzigsten Jubiläum des Projekts „Ballett und Wildnis“.
Natur spielt in Oper, Theater und Ballett immer wieder eine Rolle als Requisit, als Kulisse, als Pappmaché-Staffage. Doch abgesehen von den Naturbühnen des Barock hört man nur selten während der Aufführung authentisches Blätterrauschen und Vogelgezwitscher, oder läuft als Akteur und Zuschauer Gefahr, in einen Bach zu stürzen oder sich an einem spitzen Ast aufspießen. Doch bei der Vorbereitung des Stückes «Im Wald» von Xing Peng Wang ist diese Gefahrenlage gegeben: In einem Talkessel eines kleinen Bachs in der Wildnis des Nationalparks Bayerischer Wald probieren junge Künstler des Bayerischen Junior Balletts München die von Wang ersonnen Figuren und Kombinationen.
Ein steiler Hang mit umgekippten, bemoosten Bäumen wird dabei zur Tribüne. Die Zuschauer, darunter Ivan Liška, Künstlerischer Leiter des Bayerischen Junior Balletts München und Vorstandsvorsitzender der Heinz-Bosl-Stiftung, die Waldführerin Julia Freund und Lukas Laux, Leiter der Umweltbildung des Nationalparks, folgen ebenso erstaunt wie fasziniert dem Spektakel. Mit im Publikum sitzt, oder besser, kauert Maya von Ahnen, frische Absolvent:in eines Masterstudiengangs innerhalb des neuen Münchner Universitäts-Lehrstuhls „Environmental Humanities“. Bei dieser Studienrichtung geht es darum, den breiten Bereich der Human- bzw. Geisteswissenschaften mit dem Themenkomplex Natur- und Umweltwissenschaften zu vernetzen. Die Forschung zur Natur des Menschen mit seinen Aspirationen und Abgründen trifft auf die neuesten Erkenntnisse zur faszinierenden wie bedrängten Natur der Natur. „Ballett und Wildnis“ wird so zur Versinnbildlichung einer gegenseitigen Horizonterweiterung.
Das Projekt beginnt 2004 als Kooperation des Bayerischen Staatsballetts unter Leitung von Ivan Liška mit dem Bayerischen Umweltministerium unter Staatsminister Werner Schnappauf. Mit Ende der Saison 2015/2016 wird die Zusammenarbeit weitergeführt von der Heinz-Bosl-Stiftung und dem Bayerischen Junior Ballett, ebenfalls mit dem Umweltministerium als bewährtem Partner.
Der offizielle Startschuss zu der unkonventionellen Kooperation erfolgt im Juli 2004 mit einer Aufführungsreihe von Stücken junger Choreografen des Bayerischen Staatsballetts auf einer eigens gezimmerten Freiluft-Bühne im Nationalpark Bayerischer Wald. Seitdem hat das Projekt eine sagenhaft zu nennende Karriere hinter sich: Aufführungen, grösstenteils mit Exkursionen, finden in den Nationalparks Bayerischer Wald und Berchtesgaden statt, bei der Bundesgartenschau in München, im Naturpark Weltenburger Enge, im Tschechischen Nationalpark Šumava und zuletzt am Kloster Andechs. Als Ausstellung, Kurzfilm und Vortrag schafft es “Ballett und Wildnis”, sogar nach Mexiko, Alaska und Estland, und natürlich in die Geburtsstadt Ivan Liškas, nach Prag. 2010, 2014 und 2018 wird „Ballett und Wildnis“ als „ausgezeichnetes Projekt der UN-Dekade für Biologische Vielfalt“ prämiert und trägt Liška 2017 die „Bayerische Staatsmedaille für Verdienste um die Umwelt“ ein.
Soweit also die kleine Vorgeschichte der Szene, die sich nun in einem Talkessel in der bayerischen Wildnis entwickelt. Obwohl für das Stück von dem Choreografen ursprünglich sieben Männer vorgesehen sind, dürfen jetzt auch Frauen mittanzen. Auf diese Weise, so Ivan Liška, sollten bei der ganzen Truppe “die Instinkte freiwerden, mit denen wir ja von der Natur ausgestattet sind”. Genau dies ist ganz im Sinne des Choreografen Xing Peng Wang, der in seinem Werk «Im Wald» das “kreatürliche Unterbewusstsein” zelebriert, “dem es immer wieder gelingt, unseren Zivilisationsversuchen zu entkommen”.
Filip Janda, Tänzer und Teilnehmer des „Ballett und Wildnis“-Projekts 2007, inzwischen am Nationaltheater von Prag, meint mit bemerkenswertem philosophischen Tiefgang: „Ein Stück Wildnis trägt jeder in sich. Unsere Instinkte werden von der modernen Zivilisation unterdrückt. Doch je mehr wir sie unterdrücken, desto angestrengter versuchen wir sie wieder zu beleben. Die freie Natur lädt mich mit ihrer Kraft auf, lässt mich aber auch meine Grenzen erkennen. Ohne Natur kann man nicht leben und nicht tanzen.“
Claudine Schoch, Projekt-Veteranin von 2005, heute Erste Solotänzerin beim Wiener Staatsballett, sagt: „Um auf der Bühne zu überzeugen, muss ich an meine Grenzen gehen. Dazu ist viel Disziplin nötig, aber auch Wildheit, ja sogar Aggression. In der Musik wie auch in der Wildnis gibt es vieles, was sich mit dem Verstand nicht greifen lässt. Beides, Musik und Wildnis, sind für mich übersinnlich.“
Es sei dahingestellt, ob das jetzt schon die Ur-Instinkte sind, die nun bei den Künstlern des Bayerischen Junior Ballett München unter einigem Gejohle und Gelächter frei werden: Jedenfalls macht es den jungen Leuten sichtlich Spass, das im Studio Einstudierte nun auch mitten im wilden Wald Niederbayerns umsetzen zu können. Zunächst beginnen die Männer am Bachufer, sich mit kurzen, aber tiefen und breiten Pliés in rhythmischen Auf und Abs zu bewegen und dabei ihre Oberkörper zurückzuwerfen, um dann einander mit den Händen zu greifen und sich abwechselnd gegenseitig in schnelle Hebungen überkopf zu bugsieren. Es folgt der Einsatz der Frauen, die mit kantigen, erratischen Bewegungen und fröhlichem Lachen die Harmonien des klassischen Balletts hinterfragen.
Bei einer der schnellen Hebungen, offenbar ein Markenzeichen des Stückes, wird eine der Tänzerinnen, Rebecca Rudolf, auf einen bemoosten Baumstamm gelupft, wo sie, die Beine in breiter fünfter Position balancierend, mit einem lyrischen cambré derrière (Rückwärtsbeugung) ihren Blick in offensichtlicher Verzückung gen Himmel und zum frühherbstlichen Blätterdach richtet.
Kurz zuvor war die junge Rumänin freilich alles andere als von Wildnis entzückt. Beim Aufstieg der Gruppe (17 Tänzerinnen & Tänzer aus 13 Nationen in der Spielzeit 2024/25) entlang des Baumwipfelpfades, wird sie von Höhenangst gepackt und bekommt es, oben in über vierzig Metern Höhe angekommen, auch noch mit einem Schwarm geflügelter Ameisen zu tun, die sich auf ihrem spätsommerlichen Hochzeitsflug anschicken, sich in ihren Haaren niederzulassen.
Wenige Stunden später ist alle Unbill vergessen. Vielleicht liegt das ja an den geführten Wanderungen über das meist unbefestigte Gelände eines scheinbar unberührten urwüchsigen Waldes, die dem Körpergefühl der Künstler ein Konzert an physischen und psychischen Stimuli bescheren.
Vielleicht liegt es ja auch an den vielen Geschichten, die die beiden Experten Julia Freund und Lukas Laux zu erzählen wissen, etwa dass der wilde Wald des Nationalparks früher alles andere als unberührt war, dass die Ur-Niederbayern hier nicht nur Holz ernteten, sondern auch nach Gold gruben und Pilze zu allerlei Nützlichem für Menschen verarbeiteten, wie Hüte, Bekleidung und Herd-Anzünder.
Doch wesentlich nützlicher sind die Pilze für den Wald. Wie die Tänzerinnen und Tänzer staunend erfahren, zersetzen die Pilze das Herbstlaub und gelangen so an den von den Bäumen durch Photosynthese produzierten Zucker. Die Pilze revanchieren sich bei den Bäumen, indem sie mit kilometerlangen Verbindungsleitungen, den sogenannten Mykorrhiza, an das Feinwurzelsystem der Bäume andocken und dort Phosphor und Stickstoff bereitstellen. Der Stoffaustausch dient auch der Kommunikation der Bäume untereinander und über weite Strecken.
Doch manchmal nützt das beste unterirdische Versorgungs- und Kommunikationssystem nichts, wenn der Tod den Wald heimsucht in Gestalt der winzigen, in Schwärmen auftretenden Borkenkäfer. Rein fortpflanzungsbiologisch betrachtet, gilt für die kleinen Käfer jeden Sommer das Motto “Love is in the Air”. Geleitet von Duftstoffen und Sexualhormonen legen die Käfer unter der Rinde der von der Klimaerwärmung vorgeschädigten Fichten sogenannte Rammelkammern an, um sich dort zu vermehren. Der durch die paarungslustigen Insekten ausgelöste Massentod der Bäume wird toleriert von den Nationalpark-Managern, die dem bundesweiten Nationalpark-Motto Natur-Natur-sein-lassen verpflichtet sind. Dies aus gutem Grund: Denn die kleinen Käfer erschließen mit ihrem gefräßigen Liebesleben Nahrungsquellen und Lebensraum für holzfressende Insekten, aber auch für holzzersetzende Pilze, für Vögel und Kleinsäuger. Nach wenigen Jahren machten die zerfallenden Baumriesen den Weg frei für den nachwachsenden, vitalen und artenreichen Jungwald. Love is in the Air. Death is in the Air. Life is in the Air.
Bei einigen der Ausflüge werden Bühnen-Kostüme mitgeführt, so dass sich die Tänzerinnen und Tänzer in Szene setzen lassen können vom Nürnberger Fotografen Berny Meyer. Manche Fotos entstehen auch auf Initiative der Künstler. Lisa Maree-Cullum, jahrelang Erste Solistin des Bayerischen Staatsballetts, watet in einem wertvollen paillettenbesetzten Schwanensee-Kostüm unabgesprochen und als sei nichts selbstverständlicher in einem Waldteich, so dass Fotograf und Beleuchter (der Schreiber dieser Zeilen) ihre liebe Not haben, mit dem Equipment hinterher zu kommen).
Dass eine Primaballerina, die ja oft auch durch Zartheit auf der Bühne überzeugen muss, so souverän in der Wildnis zurechtkommt, hat im Fall der Cullum einen ganz besonderen Grund. “Ich bin in Papua-Neuguinea aufgewachsen“, so verrät sie. “Als kleines Mädchen erlebte ich dort den Dschungel beinahe so wie den Urwald im Bayerischen Wald. Ich fühlte mich an meine Jugend erinnert. Wir haben damals alle möglichen Krabbeltiere nach Hause gebracht, und ich bin, so oft ich konnte, barfuß draußen herumgelaufen, auch im Regenwald. Wildnis erinnert mich auch an die Freiheit der Kindheit.”
Ein paar wunderbare Szenen, ein paar schöne Geschichten: Doch einmal ketzerisch gefragt; was soll das Ganze? Die Frage muss erlaubt sein und wurde auch schon öfters gestellt. Der vielfach bemühte Aphorismus Goethes: „Natur und Kunst, sie scheinen sich zu fliehen, und haben sich, eh man es denkt, gefunden“, hilft hier nicht so recht weiter. Welcher künstlerische, welcher gesellschaftliche Mehrwert wird durch “Ballett & Wildnis” erzeugt?
In einer Absichtserklärung zwischen Umweltministerium und Heinz-Bosl-Stiftung aus dem Jahr 2018 wird „Ballett und Wildnis“ als „künstlerische Darstellung der ästhetischen und ethischen Dimensionen von Naturerfahrung in Prozessschutz-Lebensräumen (Wildnis)“, beschrieben. „Damit bekommt das Projekt eine gesamtgesellschaftliche Dimension“. Und weiter heißt es in der Absichtserklärung: „Die Projektpartner beziehen sich dabei auf eine Traditionslinie, die mit Balletten wie «Giselle» (1841) und «Schwanensee» (1877), aber auch «Nachmittag eines Fauns» (1912) die Grenzen zwischen Naturreich und Menschenwelt durchlässiger macht, eine Erkenntnis, die von Charles Darwin 1859 in wissenschaftlicher Form in Umlauf gebracht wurde. Diese Grundideen standen auch Pate beim Projekt „Ballett und Wildnis“.
Doch wie lassen sich in diesem Verhältnis „die Grenzen zwischen Naturreich und Menschenwelt durchlässiger“ machen? Sowas ist schnell dahingeschrieben, bleibt aber letztlich obskur. Es gibt einschlägige Forschungen. So kommen amerikanische Wissenschaftler (Vucetich et al, 2008) zum Schluss, dass das „Konzept einer physischen Wildnis fundamental wichtig ist, um das Verhältnis zwischen der menschlichen Gesellschaft und der Umwelt zu verstehen“. Ein Fazit aus dem Artikel ist, dass durch eine gewisse Distanz zur Zivilisation ein empathisches Fokussieren auf die nicht-menschlichen Akteure der Wildnis ermöglicht wird und dies dabei helfen kann, die Spaltung zwischen Mensch und Natur zu überwinden. Die Neufokussierung durch das gemeinsame physische und ästhetische Erleben von Wildnis stärkt dabei sowohl den Perspektivwechsel auf das große Ganze, als auch den Gruppenzusammenhalt, die Empathie, das Einfühlungsvermögen füreinander.
Nach einer ersten Exkursion samt Übernachtung im Wildniscamp des Nationalparks schwärmt der Tänzer (und Ehemann der Cullum) Vincent Loermans: “Wildnis ist etwas ganz Besonderes. Ich merke auf einmal, dass wir uns an so viele Dinge gewöhnt haben, die Luxus sind, die wir absolut nicht brauchen. In der Stadt bilden wir uns ein, wir brauchen dieses und jenes. Es ist eine tolle Erfahrung, wenn man erlebt, wie wenig wir doch brauchen, um wirklich glücklich zu sein.“
Ein Hinweis für die Auflösung der Grenzen zwischen Naturreich und Menschenwelt ergibt sich aus dem Begleittext zum Stück «Im Wald» auf der Website des Junior Balletts. Dort ist, am Beispiel der Musik des begleitenden Orchesterstücks „Vajrayӑna“ von der französischen Komponistin Camille Pépin, die Rede von einer „Verbindung des Mikrokosmos des menschlichen Körpers mit dem Makrokosmos des Universums“. Die Aussage Claudine Schochs kommt wieder in den Sinn, dass sich Musik und Wildnis in ihrer Übersinnlichkeit besonders ähnlich sind.
Ein etwas anderer Ansatz ergibt sich aus dem Universitätskurs „Christliche Umweltethik“, einem Wahlpflichtfach innerhalb der Environmental Humanities. Eine „entscheidende Innovation der Umweltethik“, sei der „spatial turn“, der „raumethische Ansatz“ der „darüber hinausführt, lediglich Einzelobjekte in der Natur fürsorglich schützen zu wollen, und ihr ermöglicht, stattdessen existentieller den Raum als Bezugsfeld für die Ethik wiederzuentdecken“, so Markus Vogt, der in München „Christliche Umweltethik“ lehrt und das gleichnamige Standardwerk dazu geschrieben hat.
Lukas Laux, der das Projekt von Anfang an begleitet und unterstützt, betont einen pragmatischen Nutzen, der beim Start des Projekts eine wesentliche Rolle gespielt hat: „Durch die Aufführungen und Ausstellungen können wir neue Zielgruppen erreichen. Das Münchner Kultur-Publikum erfährt, was Wildnis bedeutet, und die ortsansässigen Bayerwaldler haben so Gelegenheit, Hochkultur aus der Landeshauptstadt kennenzulernen. Ballett und Wildnis also als eine Art Public Relations Show für Natur und Kultur mit wechselseitigem Nutzen? Karl-Friedrich Sinner, zu Beginn des Projektes amtierender Nationalpark-Direktor, kommentiert die ersten fotografischen Ergebnisse des Projekts: „Die Bilder sind eine ausgezeichnete Botschaft der Nationalpark-Idee. Unser Motto heißt zwar ‘Natur Natur sein lassen’, doch im Mittelpunkt unserer Arbeit steht immer der Mensch und sein Verhältnis zur Natur”.
Zwanzig Jahre später konkretisiert Maya von Ahnen im Hinblick der neuen Studienrichtung „Environmental Humanities“ die visionäre Aussage des Nationalparkdirektors von 2004: „Das Verhältnis der Menschen zur Natur verlangt doch ganz offensichtlich nach einer Neujustierung, nach einer ständigen Überprüfung. Von Ahnen verfügt selbst über einige Erfahrung im Ballett und Modern Dance im semi-professionellen Bereich und hat bei ihren Recherchen Arbeiten der avantgardistischen Performerin Loup Rivière kennengelernt, wo es darum geht, „in Gegenwart anderer Organismen zu tanzen, und nicht, sich in sie zu verwandeln oder sie zu imitieren, sondern sich ihnen zu präsentieren, ihretwegen zu tanzen“. Für kurze Zeit ist das Ökosystem für die Künstlerinnen und Künstler, für die Menschen der Anlass, auf der Welt zu sein. Ein radikaler Gedanke: Die von den Vereinten Nationen bemühte Idee der „Ökosystemleistungen“, wonach sich Ökosysteme nach ihrem langfristig ökonomischen Wert für die Menschen berechnen lassen, wird durch den modernen Tanz ins Gegenteil verkehrt. Jetzt lautet die Frage, was können wir für die andere (wilde) Welt um uns tun? Wie können wir diese Welt im doppelten Wortsinn unterhalten?
Aldo Leopold, ein amerikanischer Forstwissenschaftler und Schriftsteller, der als einer der frühen Vordenker der Environmental Humanities gilt, schreibt in den Vierziger Jahren: „Ich wage zu behaupten, dass nur wenige Naturschützer die Absicht oder den Wunsch haben, einen Beitrag zu Kunst und Literatur zu leisten, doch die ökologischen Dramen, die wir entdecken, wenn wir uns um die Tier- und Pflanzenwelt kümmern wollen, stehen dem menschlichen Drama als Thema für die Bildende Kunst in nichts nach. Ist es nicht ein wenig erbärmlich, dass Dichter und Musiker sich mit abgedroschenen Mythologien und Folklore als Medium für die Kunst beschäftigen und die Dramen der Ökologie und Evolution ignorieren müssen?“
Wie sich die „Dramen der Ökologie und Evolution“ künstlerisch und choreographisch umsetzen lassen, das wird im nächsten Jahr Thema eines Workshops mit Maya von Ahnen und dem Bayerischen Junior Ballett werden. Freilich bleibt es offen, ob daraus einmal eine eigene Wildnis-Choreografie werden kann oder gar ein „Schlüsselwerk“, wie in der Absichtserklärung zwischen Umweltministerium und Heinz-Bosl-Stiftung optimistisch erklärt wird.
Ein Anfang ist jedenfalls gemacht. Am Ende der Exkursion verteilt Lukas Laux hellgrüne Wildnis-Notizbücher, in denen einige der Tänzer ihre Eindrücke aufschreiben. Die vielleicht ausführlichsten und poetischsten Ausführungen stammen von Rebecca Rudolf, der Tänzerin, die in der bayerischen Wildnis ein besonderes Wechselbad der Gefühle erlebte:
In the Forest
Through the apple of your eyes, I see,
Thousand spirits coming from the trees,
Spirits leading me to nature,
To the natural instincts of our love,
Love that grows from fern to alpines,
Love that keeps the world going on.
Steps through the wildness of the forest,
Let the leaf litter spread its secrets,
Alike mushrooms, over thousands are existent,
Peaceful sounds of rivers flowing,
That the bears would like to listen.
Coloured berries, mud and fog,
And the owls with their wisdom,
Virgin plants and stones unstepped,
Left behind, the trip has come to an end.
You look at me as I put flowers in your hair,
We reconnect as new personas,
Greater is the Love we share.
Literatur:
John A. Vucetich and Michael P. Nelson: Distinguishing Experiential and Physical Conceptions of Wilderness (2008)
Loup Rivière: Dancing is an Ecosystem Service, and so is being Trans (2022)